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Die letzten Wochen und Monate waren für uns alle besonders und sind es immer noch. Corona beeinflusst unser Leben, unseren Alltag und unsere Freizeit. Mit einer Intensität, die wir uns nicht hätten vorstellen können. Viele Musiker und Musikpädagogen kämpfen ums Überleben. Von einem auf den anderen Tag durften Schüler nicht mehr zur Musikstunde kommen, Konzerte wurden abgesagt und das Musikleben kam zum Erliegen. Wie geht es weiter? Welche Chancen und Möglichkeiten bringt diese Krise? Meine Karlsruher Kollegin Susanne Hoy hat ihr Eindrücke und Gedanken aus den letzten Monaten festgehalten. Und ich freue mich sehr, diese mit dir teilen zu dürfen.
Susannes Tagebuch
Ende Januar 2020
In China taucht ein neuartiges Coronavirus auf. Es breitet sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Die Region Wuhan wird unter Quarantäne gestellt. Fassungslos beobachte ich, wie die Grundrechte der Menschen eingeschränkt werden. Ich denke, so etwas kann nur in einer Diktatur geschehen und bin froh, dass wir in einer Demokratie leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wenige Wochen später auch in Europa die Grundrechte der Menschen erheblich eingeschränkt werden und dass dies auch auf mich und meine Berufstätigkeit eine Auswirkung haben wird.
Donnerstag, 12. März 2020
Die Coronakrise spitzt sich zu, inzwischen ist das Virus auch in Europa angekommen. Vor allem Italien ist betroffen. Aber auch in Deutschland breitet sich das Virus bereits aus. Für Ende März hatte ich mein Schülerkonzert geplant. Was wäre, wenn sich bei dieser Veranstaltung jemand infiziert? Schweren Herzens sage ich das Vorspiel ab. Es tut mir so leid für die Schüler, die fleißig geübt und sich sehr auf das Konzert gefreut haben. Was ich an diesem Tag noch nicht weiß – wenig später werden in Deutschland sämtliche Veranstaltungen verboten. Ich bin dem Verbot also nur zuvorgekommen.
Freitag, 13. März 2020
Italien steht unter Quarantäne, vor wenigen Tagen wurden Ausgangsverbote verhängt. Ich ahne, dass Ähnliches auf uns zukommen wird und plane, meinen Klavierunterricht so bald wie möglich auf Online-Unterricht umzustellen. Ich informiere mich, wie ich das am besten mache, habe keinerlei Erfahrungen mit Skype oder anderen Formen der Videotelefonie. Unsere Facebook-Klaviergruppe ist mir eine große Hilfe, hier bekomme ich viele gute Tipps. Um den Online-Unterricht effektiv gestalten zu können, kaufe ich mir eine externe Webcam. Externe Mikrophone besitze ich bereits.
Dienstag, 17. März 2020
Die Schulen werden geschlossen. Auch Musikschulen sind davon betroffen. Später werde ich zwar erfahren, dass in Baden-Württemberg Instrumentallehrer im Einzelunterricht davon ausgenommen sind. Aber ich halte an meinem Plan mit dem Online-Unterricht fest, zudem mehrere Schüler bereits aus Angst vor dem Virus den Unterricht in dieser Woche abgesagt haben. Auch ich habe Angst vor einer Infektion.
Ich informiere meine Schüler über mein Online-Angebot. Es kommt sehr gut an, doch wollen die meisten Schüler erst in der nächsten Woche damit beginnen. Die Familien müssen sich nach den Schulschließungen neu orientieren. Und so unterrichte ich in dieser ersten chaotischen Woche nur drei Schüler per Skype. Es ist mir ganz recht, denn auch ich muss erst mit der neuen Situation klarkommen.
Freitag, 27. März 2020
Meine erste Online-Unterrichtswoche liegt hinter mir. Es ist anstrengend. Ich spreche zu laut und bin am Ende eines Unterrichtstages heiser. Und ich stoße auf verschiedene Schwierigkeiten. Vieles, was im Präsenzunterricht funktioniert, klappt online nicht. Vor allem bei jüngeren Schülern ist das sehr schwierig. Ich komme mir manchmal wie eine Berufsanfängerin vor. Auch die Schüler müssen sich an die neue Unterrichtsform gewöhnen. Nach der ersten Online-Woche bin ich ziemlich geschafft. Hoffentlich geht es nicht so weiter!
Freitag, 03. April 2020
Die zweite Online-Unterrichtswoche läuft deutlich besser. Die Schüler machen gut mit. Und auch mir fällt es zunehmend leichter, den Schülern Wissen zu vermitteln, mir fallen immer wieder neue Methoden ein, wie ich Lerninhalte vermitteln kann. Ich liebe es, kreativ zu sein. Es macht mir Spaß, neue Ideen für den Online-Unterricht zu entwickeln. Bei einer Anfänger-Schülerin gelingt es mir sogar, das Pedal einzuführen.
Interessant ist, dass viele Schüler konzentrierter und selbständiger mitarbeiten. Während Anfänger-Schüler z.B. im Präsenzunterricht Schwierigkeiten hatten, beim Einstudieren eines neuen Stückes die Noten korrekt abzuspielen, klappt dies jetzt meist problemlos. Um die Orientierung nicht zu verlieren, zeigt eine bisher sehr unselbständige Schülerin von selbst mit dem Finger der anderen Hand die Note, die sie gerade spielt. Ich werde diese Erfahrungen auch später in den Präsenzunterricht mitnehmen und werde die Schüler selbständiger arbeiten lassen, weniger eingreifen. Es ist erstaunlich, wieviel die Kinder allein können, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.
Schüler ab einem Alter von 8 Jahren packen den Online-Unterricht fast ohne Hilfe der Eltern. Bei meinen beiden Vorschulkindern habe ich Glück, dass die Eltern sehr engagiert sind und ohnehin im Unterricht immer dabei sind. So können sie gut assistieren – obwohl in beiden Fällen die Eltern kein Klavier spielen können.
Bis auf wenige Ausnahmen machen alle Schüler beim Unterricht über Skype mit. Ich bin froh, dass ich nicht so viele Schüler unterrichte wie normalerweise, denn nach wie vor ist das Online-Unterrichten anstrengend. Die Eltern und Schüler sind mir sehr dankbar, dass ich diese Lösung anbiete. Sie schreiben mir Mails oder bedanken sich bei mir zu Beginn des Unterrichts. Ich freue mich darüber sehr, denn ich hatte Bedenken, wie dieses Angebot ankommt.
6.- 19. April 2020
Trotz Osterferien wollen fast alle Schüler in der ersten Ferienwoche und etwa die Hälfte der Schüler in der zweiten Ferienwoche Klavierunterricht haben. Ich glaube, die Kinder sind für die Abwechslung sehr dankbar.
20. April 2020
Ab heute werden die Corona-Maßnahmen gelockert. Kleinere Geschäfte dürfen wieder öffnen. Ich denke, dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Wir können uns nicht ewig verkriechen sondern müssen schrittweise zur Normalität zurückkehren. Daher biete ich ab heute neben dem Online-Unterricht auch wieder Präsenzunterricht an. Die Schüler dürfen selbst entscheiden, welche Unterrichtsform sie bevorzugen. In dieser Woche entscheiden sich nur vier Schüler dafür, in meine Klavierschule zu kommen. In der kommenden Woche wird etwa ein Drittel der Schüler sein. Vor allem bei Kindern ist es deutlich leichter zu unterrichten, wenn ich direkt daneben sitze.
Selbstverständlich achte ich sehr auf Hygiene. Vor dem Unterricht müssen die Schüler die Hände waschen und ich desinfiziere die Tasten regelmäßig. Da sich das Virus in erster Linie durch Tröpfcheninfektion über die Luft verbreitet, sollte man mindestens 1,50 m Abstand halten und am besten noch eine Mund-Nasen-Maske tragen. Der Abstand lässt sich nur schwer realisieren, da ich dem Schüler das eine oder andere in den Noten oder auf den Tasten zeigen muss. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, wie Klavierunterricht mit Masken funktionieren soll. Abgesehen davon, dass das Atmen schwerer fällt und dass man schwitzt – man versteht auch schlechter, was der Maskenträger sagt und die Mimik fehlt völlig. Doch ich habe eine Lösung: eine Spuckwand. Ich kaufe mir eine Plexiglasplatte (60x60cm) und befestige sie an einer fahrbaren Kleiderstange. Diese Spuckwand schiebe ich zwischen mich und den Schüler und auf diese Art sind wir beide geschützt, ohne dass wir eingeschränkt sind. Es funktioniert sehr gut. Ich kann dicht neben dem Schüler sitzen. Sogar vierhändig spielen ist möglich.
Was mir in dieser Woche auffällt ist, dass einige Kinder sich verändert haben. Sie wirken traurig, fast depressiv. Sie lachen weniger, sind unkonzentriert. Mehrere Wochen Isolation von anderen Kindern hinterlassen ihre Spuren.
Fazit:
Ich habe mich immer gegen Online-Unterricht gewehrt. Aber nun war ich gezwungen, innerhalb kürzester Zeit ins kalte Wasser zu springen und das Neue zu wagen. Ich habe viel gelernt in dieser Zeit, auch neue Impulse für den Präsenzunterricht bekommen.
Mit Erwachsenen und mit älteren Kindern und Jugendlichen klappt der Online-Unterricht wunderbar und ist eine echte Alternative zum Präsenzunterricht. Daher werde ich diese Unterrichtsform auch nach Ende der Coronakrise weiterhin anbieten. Die einzigen Probleme sind schlechte Internetverbindung und schlechte technische Ausstattung einiger Schüler.
Inzwischen nehmen wieder alle Schüler am Klavierunterricht teil. Teils online, teils live in meiner Klavierschule. Meine finanziellen Verluste sind bis jetzt gering. Aber ich habe neue Erfahrungen gesammelt. In diesen verrückten Zeiten haben mir meine Kolleginnen und Kollegen aus der Facebook-Klavierlehrergruppe sehr geholfen. Zum einen mit wertvollen Tipps, zum anderen durch das Gefühl, nicht allein zu sein mit den neuen Anforderungen.
Sorgen mache ich mir über die Zukunft. Wie lange werden die Einschränkungen noch dauern? Wie wird es wirtschaftlich weiter gehen? Wir Instrumentallehrer sind darauf angewiesen, dass andere Menschen Geld für ihr musikalisches Hobby übrig haben. Und ich möchte mich wieder unbefangen mit Menschen treffen können, ohne die Angst, dass der Andere mich mit einem gefährlichen Virus infizieren könnte. Ich hoffe sehr, dass unser Leben bald wieder zur Normalität zurückkehrt.
Susanne Hoy
Karlsruhe, Anfang Mai 2020
klavierunterricht-karlsruhe-hoy.de
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Ihr Guten, vielen Dank für diesen Einblick in den wichtigen Teil Eures Lebens. Gerhard Jeske, Autor- Fotograf aus Hamburg
Liebe Susanne, liebe Sandra!
Dieser Bericht hätte auch von mir (und wahrscheinlich vielen anderen KlavierlehrerInnen) sein können. Fast auf den Tag genau ging es mir in ganz vielen Punkten genauso…
Ab heute habe ich auch eine “Spuckwand” (DANKE für diesen Tip!) und ein paar Schüler sind im Präsenzunterricht. Mit selbstgenährter Maske fühlen wir uns sogar ganz wohl und es gibt – wie in der Eisdiele – eine “Einbahnstraßenregelung” um den Flügel herum, wenn wir mal Plätze tauschen wollen.
Liebe Grüße aus Mauer!
Julia