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Der Begriff Transferschüler bedeutet, dass diese Schüler bereits bei einem anderen Lehrer Unterricht hatten und mitten im Lernprozess stehen. Im letzten Jahr sind davon einige zu mir gekommen und ich habe gemerkt, dass dieser Unterricht im Vergleich zu unseren eigenen “Zöglingen” eine ganz andere Situation ist. Warum das so ist und eine besondere Aufmerksamkeit benötigt, möchte ich euch heute bewusst machen. Im zweiten Teil des Artikels werde ich dann ein paar Ideen für die Planung vorschlagen.
Das man einen bereits spielenden Schüler bekommt, mag den ein oder anderen freuen. So muss man nicht ganz vorne anfangen – doch dieses mittendrin Einsteigen kann schnell unterschätzt werden. Den Weg um einen Anfänger aufzubauen haben wir im Kopf, doch ein Transferschüler ist eine echte Wundertüte, für die es keine Methode gibt.
Zuerst müssen wir uns natürlich kennen lernen. Ich bitte um die alten Noten, damit ich sehen kann WAS alles schon gespielt wurde. Nur für einen ersten Eindruck, denn das WIE kann man davon nicht gut ablesen. Als Lehrer möchte ich wissen, welche Gewohnheiten und Erfahrungen der Schüler bereits gesammelt hat. Deshalb kommen in den ersten Stunden jede Menge Fragen auf:
- Hast du so etwas schon mal gemacht?
- Was ist an dieser Stelle schwer und wie kannst du es üben?
- Kannst du das bitte mal laut zählen?
- Hast du schon mit Pedal gespielt?
- Benutzt du einen Metronom?
- Wann hast du das letzte Mal vorgespielt?
- Magst du vorspielen überhaupt?
- Hast du schon mal vierhändig gespielt?
- Etwas auswendig gelernt?
- Gibt es ein bestimmtes Stück, dass du gern spielen möchtest?
Es wird schnell klar, wie unterschiedlich wir Instrumentalpädagogen ticken und deshalb unsere Schwerpunkte ganz individuell setzen. Wir wissen das – und trotzdem bin ich immer wieder erstaunt! Für den Schüler ist es besonders irritierend. Plötzlich soll etwas Bekanntes anders gemacht werden – wem soll er da folgen? Es gibt natürlich richtig und falsch – häufig gibt es aber auch ein “anders”.
Ich gehe davon aus, dass es der Kollege in seiner Vorgehensweise gut gemeint hat, deshalb werde ich nichts kritisieren. Durch Demonstrationen (“ich mache das so…”) versuche ich meine Spielart zu zeigen. Das Umlernen kann zuerst Frust beim Schüler auslösen. Er braucht seine Zeit bis alte Gewohnheiten ab- bzw. umgestellt sind und wir ein gemeinsames Vokabular aufgebaut haben. Es wird ein neuer Maßstab an seine Fähigkeiten etabliert und der Schüler erkennt, dass er vielleicht doch noch nicht so weit ist, wie er dachte. Ich lasse ihn aber auch wissen, was er bereits kann und versuche ihm so den nötigen Schwung zu geben.
Die Stücke mit denen der Schüler zu mir kommt, versuche ich möglichst schnell abzuschließen. Wir arbeiten sie nicht bis zur Konzertreife aus, sondern so, dass sie halbwegs mit beiden Händen zusammen in einem mittleren Tempo gespielt werden können. Wenn ich merke, dass der Schüler lustlos davor sitzt und es gar nicht mag, fliegt es sofort raus. Da sind wir dann beide erleichtert und können neu durchstarten. Unser erstes Stück braucht in der Regel etwas mehr Zeit, denn die ersten Änderungen z.B. an der Haltung oder am Klang finden statt. Deshalb sollte es auf jeden Fall etwas sein, was ihm gefällt und ihn motiviert durchzuhalten.
Die Gefahr sich in dieser Situation als Lehrer zu verzetteln oder auszupowern ist groß, deshalb teile ich mir meine Kräfte bewusst ein. Schließlich kommen mehrere Schüler an einem Tag und alle sollten einen fitten (und gut gelaunten) Lehrer antreffen. Es hilft sich bewusst zu machen, dass ich mit dem Transferschüler quasi zwei Schritte auf einmal gehe. Ich möchte bestimmte Dinge ändern oder ergänzen, außerdem soll es aber auch für ihn weiter gehen und nicht demotivieren.
Klare Prioritäten haben mir geholfen. Ob das jetzt der Klang, die Haltung oder Fingersatz-Freestyle ist – ich picke das raus was mich am meisten stört. Natürlich gibt es noch weitere nicht minder wichtige Bereiche, doch der Schüler kann nicht alles auf einmal ändern. Das ist einfach so! Es ist an dieser Stelle unsere Aufgabe über bestimmte Fehler hinweg zu sehen und auch dieses Zurückhalten kostet Kraft. Prioritäten setzten, Ruhe und Geduld sag ich nur…
Eine Menge Energie kann auch durch langatmige Erklärungen verloren gehen. Ich persönlich schieße gern mal über das Ziel hinaus und überschütte den Schüler mit Informationen, die er nicht verarbeiten kann. Ich kann mich inzwischen bremsen, denn bei ihm kommt nur an, das etwas nicht gut war und mit diesem Gefühl ist ihm nicht geholfen. Außerdem bin ich anschließend müde und versuche irgendwie die nächsten Stunden zu überstehen. Nicht gerade eine Win-win-Situation!
Auch das Beobachten und Analysieren kostet Energie. Ob er es verstanden hat oder noch einen Zwischenschritt braucht. Was ihm schwer fällt und wie ich ihm helfen kann. Locker bleiben und nicht übertreiben, es wird schon werden, da wir ja mit einer Sache begonnen haben. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe warum der Unterricht beim alten Lehrer endete – das Hobby steht dann immer auch auf dem Prüfstand. Will ich dieses Instrument weiter spielen? Habe ich genügend Zeit zum Üben? Wie weit ist es bis zum neuen Lehrer? Doch er hat sich dafür entschieden und es bis zu mir geschafft. Das ist doch ein super Ausgangspunkt, über den ich mich sehr freue.
Falls euch die Anspannung in einer solchen Situation noch nicht aufgefallen ist, habe ich einen Tipp. Achtet mal auf eure Sitzhaltung im Unterricht. Ich ertappe mich immer wieder mit verkrampft überschlagenen Beinen und hochgezogenen Schultern. Oder mein Atem ist flach und ich halte ihn sogar teilweise an. Das sind klare Zeichen für Stress und dieser lässt uns sehr schnell ermüden. Dieses Zusammenwachsen mit dem Transferschüler braucht Geduld und dauert mindestens einem Jahr, da müssen wir uns nicht in jeder Stunde komplett auspowern.
Wir sehen uns dann im zweiten Teil!
Viel Freude im Unterricht wünscht
Mehr über Carinas Arbeit erfahrt ihr auf www.pianostudioratingen.de
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Vielen Dank fuer den durchdachten und einfuehlsamen Beitrag! Ich kann dem allem so stark zustimmen und finde auch, dass der Unterricht mit Transferschuelern so viel mehr Energie braucht – danke, dass Du darauf besonders eingehst!
Ich habe gerade einen neuen Transferschueler, der sehr motiviert ist und manche Sachen wirklich gut macht – aber sein Spiel ist sehr sehr monoton. Wenn ich ihm mit z.B. ‘crescendo’ oder kindlichen Eindruecken (‘da kommt etwas naeher/wird etwas groesser’, etc.) komme, ist er total ueberfordert, und ich merke, dass wir gar nicht mehr ‘klicken’! Nun hatte ich die Idee, das Stueck, das er gerade uebt, in mehrere Abschnitte zu unterteilen, und wir wechseln uns ab beim Spielen (ich habe zwei Klaviere): ich spiele den ersten Abschnitt, er den 2., ich den 3., er den 4. und so weiter. Am Ende des Stueckes haben wir mehrere Sachen erreicht: wir haben zusammen musiziert und etwas zusammen erschaffen, ich kann Ausdruck zeigen, ohne dass sich der Schueler gleich kritisiert fuehlt, der Schueler ist relaxter, da er nicht immer ‘dran’ ist, der Schueler kann besser zuhoeren, da er im Stueck mit drin ist – und eine Verbindung zwischen Lehrer und Schueler wird spielerisch aufgebaut/vertieft.
Diese Uebung kann man uebrigens auch schon mit ganz kleinen Schuelern machen, und es ist erstaunlich, wie gut die Uebergaenge von meinem Spiel zum Schuelerspiel klappen – und wunderschoen zu sehen, wie konzentriert besonders leicht ablenkbare Schueler auf einmal sind.
Ich freue mich schon auf den 2. Teil Deines Posts!
Die Idee mit dem Abwechselnd-Spielen ist toll! Das probiere ich auch aus!
Vielen Dank, Susanne!
Liebe Grüße,
Sandra
Liebe Susanne,
das klingt nach einer richtig guten Idee! Oft ist ein neuer Klang ein richtiger Augen- und Ohrenöffner und so hat dein Schüler viele Gelegenheiten zum Hören. Ich möchte auch ein zweites Instrument!!!
Auf das Crescendo werde ich im 2. Teil kommen….
herzlichen Dank für deinen Kommentar und liebe Grüße nach Berkeley, CA
Carina